Bericht
Freitag 02 September 2022

Schweizer WinzerInnen müssen sich anpassen

Im Rebberg des Weinbauzentrums Wädenswil (WBZW) forschen Fachleute zusammen mit Agroscope, dem Forschungszentrum des Bundes für Landwirtschaft, an der Zukunft des Weinbaus. Diesen Morgen hat es geregnet. Martin Wiederkehr ist Mitgründer des WBZW und schreitet von Rebstock zu Rebstock. Etwas Regen schade nicht. Aber nicht zu viel vor der Ernte.

«Wir wollen ja nicht, dass sich die Trauben nur aufblasen und mit Wasser füllen, sondern wir wollen eine Konzentration von Zucker und Aromastoffen haben, damit wir diese hervorragende Qualität dann auch in die Flasche bringen können», sagt er. Das veränderte Klima habe direkte Auswirkungen auf die Qualität der Trauben, bestätigt Wiederkehr. «Wir spüren das vor allem daran, dass wir sehr hohe Zuckergradationen haben.» 

Höhere Temperaturen, mehr Schädlinge

Die potenziellen Alkoholgrade in den Weinen lägen mittlerweile bei 13 bis 14 Volumenprozent. Das sei vergleichbar mit dem Klima in der Toskana vor 30 Jahren. Das mache auch die Weine aus der Deutschschweiz konkurrenzfähig, so Wiederkehr. 

Für die Winzerinnen und Winzer bedeute der Wandel aber auch, dass sie sich an die neuen Bedingungen anpassen müssen; mehr Wärme, aber allenfalls auch mehr Befall von Schädlingen. Da gilt es, die passenden Rebsorten für diese Bedingungen zu finden.

Martin Wiederkehr an einem Rebstock

Wiederkehr pflückt unter dem Schutznetz zwei Trauben und kostet sie. «Sie sind süss.» Aber ein Wechsel einer Traubensorte in einem Rebberg ist ein sehr langwieriges Projekt. Denn ein Rebstock hat eine Lebensdauer von 25 Jahren. Entsprechend dauert auch die Entwicklung neuer Rebsorten lange. Wiederkehr zeigt auf eine Divico-Rebe, eine multiresistente Neuzüchtung von Agroscope. «Bis das nur einmal in einen grösseren Feldversuch kommt, geht es 25 Jahre, bis das beim Konsumenten ankommt, geht das in der Regel nochmals 25 Jahre.» Aber auch die Kosten spielen beim Neuanpflanzen eine grosse Rolle: «Eine Hektare Reben neu zu pflanzen kostet circa 100'000 Schweizer Franken.»

Damit man einen Rebbaubetrieb in der Deutschschweiz einigermassen betreiben könne, brauche man zwischen vier und fünf Hektar Reben, sagt Wiederkehr. «Wenn Sie ein solches Wagnis eingehen, tun Sie gut daran, sich gut vorzubereiten.» 

In der Schweiz wird immer weniger Wein getrunken, die Konkurrenz aus dem Ausland ist gross. Wer bestehen wolle, brauche perfekt gekelterte Weine und müsse den Geschmack der Kundinnen und Kunden treffen, sagt der Wein- und Marketingspezialist. 

Heute wissen, was morgen gefragt ist

Und sie müssen gegen etablierte Sorten wie Blauburgunder oder Räuschling bestehen können, so Wiederkehr. «Die einfachste Variante ist immer, wenn Sie im Lokal mit Ihren Kunden sprechen und sagen: ‹Du, ich hätte da was Neues, kannst du mir mal ein Feedback geben, ob das etwas wäre?›» 

Winzerinnen und Winzer, die heute in ihre Rebberge investieren, erzielen erst in ein paar Jahren erste Erträge. Und sie müssen jetzt abwägen, was die Geschmäcker, aber auch die ökologischen Bedingungen der nächsten Jahrzehnte sein werden. Attribute wie «schadstoffarm» und «Bio» könnten dabei eine wichtige Rolle spielen.


Text und Bilder: Dario Pelosi, SRF Schweizer Radio und Fernsehen. Link zum Artikel